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Angst,

oder was mich meine Harley über Angst lehrte ...

 

 

Durch die Mitgliedschaft in einem Harley-Club lernte ich wie viel Freude Motorradfahren macht. Meine Neugierde, ob ich wohl auch Motorrad fahren könnte wuchs dermaßen an, dass ich beschloss den Motorradführerschein zu machen. Mit 38 Jahren setzte ich mein Vorhaben um. Viel erzählenswertes ist dabei geschehen, aber ich beschränke mich auf weniges, denn es ist die Angst, auf der in diesem Text der Fokus liegt. 

 

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Am Anfang lebte ich meine Freude des Erprobens. Das drückte sich so aus: In meiner ersten praktischen Fahrstunde rannte mein Fahrlehrer zu meiner Unterstützung neben mir her. Das reizte meinen Übermut (wie schnell er wohl rennen konnte *kicher*?); also gab ich Gas. Als ich (sehr schnell) allein war, kam mir kurz in den Sinn, dass ich mich durch meinen Übermut um eine evtl. notwendige Hilfestellung gebracht hatte. Sofort fühlte ich Ängste in mir aufsteigen, aber die durch Freude am Fahren ausgelösten Begeisterungswellen wuschen sie weg. 

 

In meiner Phantasie stellte ich mir vor auf einem Pferd zu sitzen (witzig, denn ich kann gar nicht reiten), dadurch fühlte ich 'meine Mitte'. Damit waren alle 'Wackler' ausgeschlossen und ich fuhr ohne jede Angst Motorrad. Mein Lehrer konnte mir zuerst nicht glauben, dass ich zum ersten mal auf einer Maschine saß, aber abgesehen von ein-/zweimal Sozius entsprach dies tatsächlich der Wahrheit.

 

Was mich und meinen Fahrstil vom ersten Moment an ausmachte, war die Tatsache, das ich keinerlei Empfindungen von Angst verspürte. Sagte mir mein Fahrlehrer was und wie ich etwas mit dem Motorrad zu tun hätte, hielt ich mich genau an diese Anweisungen. Beispielsweise die Aussage: in der Kurve fixiere die Straßenmarkierung, der Rest (z.B. wie tief die Maschine 'gedrückt' werden muß) kommt von alleine. Das hat jedes mal funktioniert.

 

Motorradfahren empfand ich wie die pure Lebensfreude. Mir kam es so vor, als ob ich zum ersten mal etwas nur für mich selbst lernte. Weder für die Eltern, noch für die Schule, oder meinen Mann, oder die Arbeit - nur für mich selbst. Meine Abenteuerlust, oder besser gesagt meine Freude am Ausprobieren war grenzenlos (eben wegen der fehlenden Angst). 

 

Ein Jahr lang fuhr ich eine Honda (Black Widdow mit Spezialausstattung), danach eine V-Rod. Für mich waren der jeweilige Erwerb der Maschinen blanke Wunder. Bei der V-Rod kam mein fehlendes Selbstwertgefühl noch voll zum tragen, ich brauchte Tage, bis ich verkraftet hatte, so eine Traummaschine fahren zu dürfen ...

 

 

D a s  war meine Maschine! Mit ihr fühlte ich mich vom ersten Moment an wie verwachsen. Der Händler, der sie mir verkaufte meinte, er würde die Fahrer danach beurteilen, wie sie mit der neuen Maschine aus seinem Hoftor heraus fahren würden. Zu meinem Stil meinte er, so schnell habe er noch nie jemanden herausfahren gesehen. Damals (2003) war mein Selbstwertgefühl so niedrig, dass ich dies als Kritik bezüglich der Verkehrssicherheit auffasste! Erst nach und nach drang der Respekt und die Hochachtung, die meinem Talent gezollt wurde zu mir durch.

  

 

 

 

 

 

Viele glückliche Stunden erlebte ich auf meiner Maschine. Kieswege, oder Wiesen fand ich sicherer auf dem Bike zu überqueren, denn zu Fuß.

 

Die ersten Momente von gefühltem 'göttlichen Einklang' (alles schwingt auf gleicher Welle) habe ich auf diesem Bike erlebt.

 

 

 

 

Ein paar Monate später kam es dann, durch die Verkettung vieler Faktoren, zu meinem Rutscher (mit etwa 35 kmh habe ich die Vorderradbremse blockiert). Mein 'Baby' lag auf der Straße und ich saß auf meinem Hosenboden und wußte nicht so recht wie dies geschehen war. Zwar fuhr ich angstfrei nach Hause, aber danach bestieg ich nie wieder  's o'  angstfrei meine Maschine! Die Zeit des Übens und des Lernens begann.

 

Die Freude am Fahren war ängstlichem Abwägen gewichen. Was für ein Unterschied!!! Meine Ängste ließen mich oft das Bike in der Garage stehen lassen. Vor dem Losfahren schwitzte ich manchmal so sehr, dass mir die Luft wegblieb. Diese Gefühle kenne ich noch vom Tauchen - das ist die nackte Überlebensangst!

 

Als ich fast resignierte, stiegen in mir all die wundervollen Gefühle (Harmonie, Einssein, Grenzenlosigkeit, Fliegen) des Motorradfahrens hoch und ich sehnte mich sehr nach ihnen. Also schlug ich geistig "auf den Tisch" und meinte zu mir: woll'n doch mal sehen, wer in meinem Leben die Hosen anhat - die Angst, oder ich?! Dann stieg ich auf das Bike und fuhr einmal angstfrei um den Block. So stellte ich fest, dass Angst durch meinen Willen beherrschbar ist,  a b e r  sie/das Ego nutzt jede noch so kleine Unsicherheit sich auszubreiten!

 

Seither ist es tagesformabhängig, wer 'die Hosen' anhat! Selten fahre ich wirklich angstfrei. Dafür lernte ich mit der Angst zu fahren und trotzdem Spaß zu haben, also den Umgang mit der Angst. Legte ich mich in eine Kurve und die Gefühle der Angst trieben mir den Schweiß auf die Stirn und den Atem aus den Lungen, so atmete ich bewusst tief ein und sagte mir jedes mal "Hallo Angst, wieder zu Besuch?" und schon war das Angstmoment vorüber.

 

Das probierte ich anschließend auch im Alltag aus. Indem ich das Gefühl der Angstfreiheit suchte, stellte ich zu meinem Erschrecken fest, dass ich fast ausschließlich in einer Flut verschiedenster Ängste lebe! Sie sind so vertraut, dass ich sie bis zu diesem Zeitpunkt als mein normales Befinden empfunden hatte. Du meine Güte, wie viel war da aufzulösen, oder umzuwandeln!!!

 

Mein Üben zeigte mir sehr schnell, dass ich auf meine Tagesform Rücksicht nehmen darf. Das ist sogar empfehlenswert, denn dies schützt vor Verbissenheit! Es gibt Tage, da fühle ich mich zu schwach mein Leben aktiv zu gestalten. Was soll's; dann lasse ich es!!! 

 

In den Momenten, in denen ich mir aktiv zu Leben vornehme (damit meine ich zu agieren, Neues wagen, sich ausprobieren u.ä.) und auch bereit dafür bin, durchflutet mich Freude und die beflügelt mein Tun. 

 

Zuerst erinnere ich mich an das Gefühl von Angstfreiheit. Durch den Gedanken "alles ist möglich" entfalte ich mich, lasse meiner Kreativität freien Lauf und kreiere Wunschvorstellungen die meine Bedürfnisse befriedigen (Traumschlossebene). Danach 'schalte' ich auf strukturierendes Zielformulieren um (Realitätsebene), überblicke die Arbeitspakete (welche Schritte sind für die Umsetzung notwendig) und beginne mit dem ersten. 

 

Meine Ängste sind immer gegenwärtig. Manchmal sind sie so groß, dass sie Bergen gleichen. Mein Verstand erkennt keinerlei Gründe, dennoch sind sie da. Nach meinem Erleben nutzt es nichts sie wegzudiskutieren, oder zu unterdrücken (siehe auch "Von der Hölle zum Himmel"). 

 

Durch Anschauen und Verstehen werden meine Ängste erträglich und überwindbar; daraus ist meine Vorgehensweise geboren. Das bedeutet, dass ich die Angst bemerke, sie bei passenden Gelegenheiten ausspreche (und ihnen damit Lebensraum zugestehe), mir dabei alle möglichen Gründe vor Augen führe wo die Ängste berechtigt sein könnten, dabei erkenne (!), dass jeder Grund ein Vorurteil ist. Dann motiviere ich mich durch das vor Augen halten meiner Wunschvorstellung und dem Vertrauen auf die erkannten Vorurteile trotzt der Ängste das zu tun, was ich mir vorgenommen habe; denn dass ist es, was ich will

 

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Durch das Kennenlernen des Unterschiedes vom angstfreien und angstvollen Biken erhielt ich das Geschenk meine Angst wahrnehmen und mit ihr umgehen zu können. Dadurch war es mir möglich viele Parallelen zu der Gegenwärtigkeit von Angst (und den Umgang mit ihr) in meinen Alltag zu ziehen. So lernte ich die Auswirkungen meiner Ängste und die Existenz meines Ego verstehen und Wege zu finden, mich dennoch immer mehr anzunehmen (d.h. das, wie/was ich zur Zeit bin).

 

Herzlichst

Brigitte

 

 

PS: im Andenken an meine Huddl, die ich heute (24.04.08) physisch losgelassen habe ...